Zum Freien Willen und zum asymmetrischen Krieg

Vor über 30 Jahren gab es die Nachrüstungsdebatte. Damals ging es um die Frage, wie die NATO auf die Aufstellung der sowjetischen Mittelstreckenraketen SS20 reagieren sollte. Ich vertrat damals in privaten Diskussionen die Meinung, wenn wir schon Atomwaffen in Deutschland aufstellen müssen, dann sei es besser, wenn wir auch in Deutschland über diese verfügen können und nicht in Washington entschieden werden kann, bei uns einen lokalen Atomkrieg vom Zaun zu brechen, ohne dass Washington selbst ins Fadenkreuz gerät. Ich war der Meinung, dass der Weg von England und Frankreich, die Verfügung über wenige eigene Atomwaffen, die nicht für einen Überraschungsschlag gegen die Sowjetunion ausreichen, aber doch genug Drohung für einen Zweitschlag haben, uns mehr Sicherheit bringt, als ein Eskalationsszenario unter USA Kontrolle. Meine Diskussionspartner pflegten dann zu antworten, das möge ja alles so sein, aber Deutschland dürfe ja keine Atomwaffen haben und deshalb sei es sinnlos, solche Ideen zu formulieren. Meine Erwiderung war: zwar war es mir bewusst, dass Atomwaffen für Deutschland damals nicht durchsetzbar waren, dies aber nichts daran änderte, dass es aber unser Wille sein sollte – aufgrund des niedrigeren Risikos für Deutschland.

Erst nach Formulierung unseres eigenen Willens zur Vertretung unserer Interessen sollten wir prüfen, ob es möglich ist und welche Alternativen bleiben. Ich hielt es damals schon für falsch etwas nur deshalb nicht zu wollen, weil es voraussichtlich nicht realisierbar ist; nach dem Motto:

 „ich würde es ja wollen mögen, wenn ich‘s wollen dürfte, aber da ich es nicht wollen darf, wünsch ich’s mir lieber nicht“  – so infantil wie dies klingt, ist es auch. Mit so einer Denkweise kann man sich in jedem Gefängnis einreden, man sei frei.

3 Jahrzehnte sind vergangen, und es gab seither genug Gelegenheiten, den Ergebnissen dieser merkwürdigen Formulierung eines angeblich freien Willens, der nun so frei auch wieder nicht ist, zu begegnen. Ich halte es hingegen nach wie vor für richtiger, zuerst einen Willen zu formulieren und erst danach zu überprüfen, ob und inwieweit man ihn realisieren kann, und nicht den Willen opportunistisch an dem vermeintlich Möglichen auszurichten.

Hierzu ein aktueller Fall:

Die Morde in Toulouse reihen sich ein in eine Serie von politisch motivierten Tötungen, mit denen der islamische Dschihad vorangetrieben werden soll – wir alle wissen, dass diese Serie nicht in Toulouse beendet sein wird. Eigentlich stellt sich aber die Frage, ob diese Morde überhaupt Morde waren, oder nicht vielmehr kriegerische Aktionen. Die Täter jedenfalls sehen sich als Kriegsteilnehmer. Sie agieren im heiligen Krieg und töten für die Ziele dieses Krieges. Auch wenn es uns nicht gefällt, dass da von Krieg die Rede ist, so bleibt doch festzustellen, dass ein Angegriffener es sich nicht aussuchen kann, ob er nach den ersten Angriffen und dem erklärten Krieg dieses nun als Krieg bezeichnet oder als bedauerliche Unglücksfälle oder als verbrecherische Aktionen.

Beim Krieg ist es anders als zum Beispiel in der Liebe. Während für ein Liebespaar beide Seiten den Willen zur Bildung dieses Paares haben müssen, bedarf es für einen Krieg nur des Willens einer Seite. Wenn diese Seite dann angreift, kann sich die angegriffene Seite lediglich aussuchen, ob sie wehrlos kapituliert oder ob sie ihrerseits Kriegshandlungen aufnimmt. Wenn man also zur Kenntnis nimmt, dass Kriege einseitig erklärt werden können, so sind wir im Krieg mit den Djihadisten - oder haben wir etwa schon kapituliert? Bei den Morden, oder gezielten Tötungen in Toulouse, dürfte es sich somit um kriegerische Aktionen gehandelt haben, die allerdings wohl dem Bereich der Kriegsverbrechen mühelos zuzuordnen sind. Das heißt, keine zivilen Verbrechen, sondern Kriegsverbrechen.

Wenn man nun feststellen muss, dass ein Kriegszustand besteht, weil eine Seite diesen Krieg erklärt hat und auch kriegerische Handlungen angefangen hat, dann folgt daraus, dass es kaum mehr zweckmäßig sein kann, mit Zivilrecht auf diese Aktionen zu reagieren. Zweckmäßig ist es, hierzu die Regelungen der Haager Landkriegsordnung anzuwenden. Diese sehen vor, dass paramilitärische Einheiten (z. B. Partisanen) nach der Gefangennahme dann wie militärische Kombattanten zu behandeln sind, wenn die Einheiten ihre Waffen offen tragen, sie sich durch Embleme weithin sichtbar deutlich kenntlich gemacht haben, sie ähnlich wie militärische Einheiten mit Anführern operieren und Sie bei ihren Operationen die Gesetze und Gebräuche des Krieges einhalten. Kämpfer, die diese Regeln nicht einhalten und sich mit Zivilkleidung tarnen und mit verdeckten Waffen operieren und Ähnliches werden bei Kriegshandlungen oder in kriegerischen Situationen nach der Gefangennahme üblicherweise standrechtlich erschossen.

Der Heilige Krieger in Toulouse hat ähnlich wie andere Heilige Krieger bei ihren mörderischen Angriffen sämtliche Regeln gebrochen, die nach der Festnahme eine Behandlung als Kriegsgefangener rechtfertigen würde (in seinem Fall ‚fiel‘ er während des Kampfes). Diese Kämpfer verlassen sich bei Planung und Ausführung ihrer Taten darauf, dass sie nach der Festnahme plötzlich keine heiligen Krieger mehr sind, beziehungsweise nicht so behandelt werden, sondern wie zivile Verbrecher. Dies ermöglicht ihnen die Durchführung eines Konzeptes, das als „asymmetrischer Krieg“ bezeichnet wird. Sie selber können kriegerisch töten, aber sie dürfen nicht nach den Regeln des Kriegsrechts getötet werden.

Zusammengefasst: die heiligen Krieger haben den Krieg erklärt und haben damit begonnen. Somit ist der Kriegszustand da, auch wenn wir das nicht mögen. Die heiligen Krieger brechen die Verpflichtungen, die in der Haager Landkriegsordnung formuliert sind. Die Einhaltung dieser Regeln sind die Voraussetzung, damit sie nach der Festnahme ein Anrecht zur Behandlung als Kriegsgefangene haben. Die heiligen Krieger brechen auch sämtliche Gepflogenheiten des Krieges. Sie töten hinterhältig und verschanzen sich hinter der eigenen Zivilbevölkerung. Sie töten gezielt Zivilisten, wobei dies oftmals Selbstzweck ist, das heißt nicht als unvermeidbarer Nebenschaden für die Erreichung von militärischen Zielen anzusehen ist.

Der „asymmetrische Krieg“ ist u.a. deshalb asymmetrisch, da die Angreifer als Krieger töten und dann wieder zu Zivilpersonen werden, die in allen Ländern ohne Todesstrafe nicht getötet werden dürfen. Die gefangen genommenen ‚Heiligen Krieger‘ sollten aber entsprechend internationalem Recht in Kriegszeiten von Kriegsgerichten abgeurteilt und zumindest in Fällen von tödlichen geplanten oder durchgeführten Angriffen standrechtlich erschossen werden. Dies würde sowohl das persönliche Risiko der ‚Krieger‘ deutlich erhöhen, als auch die Gefahr von späteren Geiselnahmen zum Freipressen der gefangenen Krieger beseitigen. Hauptsächlich würde dies aber die Paradoxie des asymmetrischen Krieges aufheben: ich darf Dich töten, Du mich aber nicht.

Dieser Schritt würde auch die bereits bestehende Praxis der gezielten Tötung von Anführern der Heiligen Krieger legalisieren. Mit zivilem Recht sind diese tödlichen Angriffe, die oft noch auf fremdem Territorium erfolgen, nicht zu rechtfertigen. Nach der Anerkennung des Zustandes des Krieges, wie er von den Heiligen Kriegern ausgerufen wurde, sind die tödlichen Gegenschläge durch das Kriegsrecht gedeckt und können nur dort durchgeführt werden, wo sich die Zielpersonen aufhalten. Eigentlich müssten alle Länder international verpflichtet werden, den Angegriffenen die Möglichkeit zur Bekämpfung der Angreifer zu geben, wenn diese sich auf ihrem Territorium aufhalten und wenn sie nicht selbst als feindliche Partei in diesem Krieg angesehen werden wollen, denn auch die Planung und Ausführung von Operationen vom Gebiet neutraler Staaten aus ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des „asymmetrischen Krieges“. Da werden von einem Staatsgebiet aus von angeblichen Zivilpersonen, bzw. Terroristen Angriffe gegen ein anderes Land geführt; dieses darf aber nicht zurück schlagen, weil es die Souveränität des Landes verletzten würde, von dessen Gebiet der Angriff ausgegangen war. Richtig wäre es hingegen, dass die Souveränität nur dann geschützt bliebe, wenn das betroffene Land dem angegriffenen Land entweder innerhalb einer für beide Seiten akzeptablen Frist die Angreifer ausliefert oder sämtliche Unterstützung zur Bekämpfung der Angreifer gibt – dies beinhaltet aber insbesondere das Recht des Angegriffenen, sich auf dem Territorium des Landes, von dem der Angriff ausging, zu wehren.

Selbst, wenn diese Forderungen heute nicht realisierbar sein mögen, so kann doch nur ihre Formulierung und Veröffentlichung die Voraussetzung schaffen, dass ihre Realisierung in (hoffentlich naher) Zukunft von einer Mehrheit als notwendig erkannt wird.

K.Schmitt, 27.3.12

Veröffentlicht bei PI-NEWS.NET am 28.3.12