Die Einheit der Linken – Quo Vadis
Sozialdemokratie?
Als Oskar Lafontaine SPD Vorsitzender wurde, dachte ich, er wolle sich der Aufgabe widmen, die deutsche Linke zu einigen. Leider hat dies seine persönliche Eitelkeit oder vielleicht der Zeitgeist, bei dem Politik nur von Personen und nicht mehr von Ideen handelt, verhindert. Das Schockierende am Wahlergebnis in Sachsen war die Erkenntnis, daß die politische Linke in Ostdeutschland jetzt in der Zukunft durch die PDS dominiert wird. Die SPD hat diese Chance bis auf weiteres vertan.
Eine linke und rechte Lagerbildung wird wohl auch zukünftig notwendig sein, um den Wählern eine deutlich erkennbare Alternative zu lassen. Die Slogans aus 1998 von der "neuen Mitte" und der "modernen" Sozialdemokratie erscheinen bereits verbraucht zu sein. Bei der anstehenden Polarisierung der politischen Kräfte wird entschieden werden müssen, wo die Abgrenzungslinie zu den sich als "Sozialisten" bezeichnenden Kommunisten liegt (was nicht heißt, daß alle PDS-ler Kommunisten wären, aber das Gedankengut dieser Ideologie findet sich mit unterschiedlicher Dichte überall).
Zur Unterstreichung der Notwendigkeit einer derartigen Entscheidung habe ich die nachfolgenden Textpassagen beigefügt. Ich halte die hierin angeregte Diskussion für dringend notwendig und würde mich über Reaktionen im Forum freuen:
Auszug aus 'Annäherung an die Ostdeutschen' ,
von Karl Schmitt
zum Download bei http://www.SchmittK.de/buch20.pdf
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7.2.4
Ist die Lehre des Kommunismus heute tot?
Es war in den letzten Jahrzehnten eine
zunehmende Schwäche des ML (Marxismus- Leninismus), daß die Marx’sche Lehre
kaum mehr zeitgerecht war. Sie wurde in der Zeit der frühen Industrialisierung
geschrieben. Ihre Thesen von der Verelendung der Industriearbeiter sind bei
Kenntnis der damaligen Bedingungen verständlich. Hieraus folgte auch die
Forderung nach Machtübernahme des Proletariats unter Führung der Industriearbeiter.
Seit Jahrzehnten nimmt aber der prozentuale Anteil der Industriearbeiter bei
den Arbeitnehmern ab. Auch das prognostizierte Elend hat sich bekanntlich nicht
eingestellt.
Wenn man sich aber die obigen 'Grundgesetze'
des dialektischen Materialismus ansieht, dann läßt sich leicht zeigen, wie die
darin zugrundeliegende Schwarz- Weiß Malerei fortgeschrieben werden kann. Das
Gesetz der 'Negation der Negation' sagt ja aus, daß die Entwicklung auf einer
Schraubenlinie verläuft (Lenin sprach fälschlicherweise von einer 'Spirale' der
Entwicklung), wobei Altes wiederkommt, aber aufgrund der Richtung der
Entwicklung zu höheren Systemen stets auf höherem Niveau. Um dies zu belegen,
weisen die Theoretiker des ML darauf hin, daß in der Urgesellschaft, wie in der
kommunistischen Gesellschaft, die Produktionsmittel nicht in Privathand waren.
Die Urgesellschaft wurde im Kampf der Gegensätze negiert und durch die
kapitalistische Gesellschaft abgelöst. Diese hatte bis in die industrielle
Revolution deutliche Vorteile in der Effektivität der Produktion. Das sei auch
der Grund, warum die Negation des Kapitalismus dialektisch sein soll, was
heißt, das die im Kapitalismus entwickelte Industrie in die klassenlose
Geellschaft übernommen werden soll.
Die Verkünder der nächsten proletarischen
Revolution können nahtlos an die bisherige Lehre anschließen. Sie können
erklären, daß es in den Ländern, in denen der 'real existierende Sozialismus'
entwickelt worden war, zu einer Negation dieses Systems kam, da es nicht auf
die Bedürfnisse des beginnenden Informationszeitalters abgestimmt war. Bei der
Negation sei wieder ein auf Privatkapital basiertes System entstanden, diesmal
jedoch auf höherem Niveau, ohne verelendete Arbeitermassen in der industriellen
Produktion. Nun wird der Ungläubige einwerfen: 'Ja, aber die Arbeitermassen
sind doch in den Ländern, die nie kommunistisch waren, gar nicht verelendet!'
Bitte, lieber Leser, glauben sie nicht, daß dies unsere Verkünder in
Argumentationsnöte bringen wird. Die Antwort wird etwa so lauten: 'Die
Verelendung hat nur deshalb nicht stattgefunden, da über den bürgerlichen
Regierungen das Damoklesschwert der proletarischen Revolution hing. Die
Kapitalisten hatten mit ihren Familien in ihren Ländern aufgrund des raschen
technischen Fortschritts einen märchenhaften Reichtum erlangt. Solange ihre
Wirtschaft hohe Wachstumszahlen hatte, bekamen die Werktätigen zur Beruhigung
einen kleinen Teil ab. Bei sinkendem Wachstum jedoch, und speziell nach dem
Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, wurden die Werktätigen
massenweise in die Arbeitslosigkeit gestoßen. In Wahrheit waren die Werktätigen
in den westlichen Ländern somit Nutznießer der proletarischen Revolution durch
Lenin - und außerdem haben diese Länder ja von Faschisten und Imperialisten
angezettelte Kriege hervorgebracht. Nur der entschlossene Widerstand aus den
fortschrittlichen Ländern hatte Schlimmeres verhütet'.
So weit, so gut. Lauschen Sie nun unserem
Verkünder, wie ein neues, zeitgerechtes Proletariat verelenden wird, wenn jetzt
nicht die Revolution kommt: 'Der Kapitalismus im Informationszeitalter bringt
wieder alle Nachteile hervor, die eintreten, wenn das Produktivkapital sich in
den Händen Weniger befindet. Es entstehen mit Heimarbeitsplätzen neue Formen
von Lohnsklaverei. Diese freiberuflich Tätigen haben weder Tarifverträge noch
Einkommenssicherheit. Sie sind den Monopolen von großen auftraggebenden Firmen
ausgeliefert. Sie arbeiten persönlich isoliert und müssen 60 Stunden pro Woche
arbeiten, um für ihren Familien den Lebensunterhalt auf niedrigem Niveau
bestreiten zu können. Ihre Beteiligung am kulturellen Leben besteht nur im
abendlichen Konsum von kommerziellem 'Fast food' - TV. Somit wird es bald
wieder Zeit für eine neue proletarische Revolution. Die Monopole der Informationsgesellschaft
gehören in die Hände der Klasse der Heimarbeiter. Die dialektische Negation
wird auch hier wieder erfolgreich angewandt. Die Produktionsabläufe in der
Informationsgesellschaft werden übernommen und gleichzeitig die Macht der
Herrschenden gebrochen. Die Mittel der allgegenwärtigen kommerziellen Werbung
werden endlich nutzbringend für die 2. große proletarische Revolution
eingesetzt.......'.
Diese kleine Abhandlung mag Ihnen vor Augen
führen, wie schnell der dialektische Materialismus wieder reaktiviert werden
kann. Karl Marx wollte die proletarische Revolution aus Empörung über die
damaligen Lebensumstände der Industriearbeiter und ihrer Familien. Seine
weitgehenden Forderungen sind somit verständlich. Die hierfür angewandte
Verdrehung der Hegelschen Philosophie hat allerdings bis in die Neuzeit viel
Unglück gebracht. Sollten die im vorstehenden Absatz aufgeführten düsteren
Prognosen zum Informationszeitalter tatsächlich eintreffen, so erschiene mir
die Option einer 2. proletarischen Revolution allerdings kaum abschreckender.
Vielleicht wird diese Möglichkeit ja den Entscheidungsträgern in Politik und
Wirtschaft eine Warnung sein. Auch die Gewerkschaften werden sich jetzt bald
entscheiden müssen, ob sie nur die Interessen der Arbeitsplatzbesitzer oder
auch die Interessen von Arbeitslosen und kleinen Zulieferern und Dienstleistern
vertreten wollen (auch wenn diese ihre Leistungen den Unternehmen scheinbar in
Konkurrenz zu den Arbeitern und Angestellten anbieten).
Der Sinn dieses Buches ist nicht, die
Ungerechtigkeiten der westlichen Wirtschaftsordnung zu verteidigen und anhand
der sichtbaren Deformationen im kommunistischen Alltagsleben aufzuzeigen, daß
die liberale westliche Gesellschaftsordnung in ihrer heutigen Form immer der
beste Weg sein wird, um alle Fragen von Gegenwart und Zukunft zu beantworten.
Es soll gezeigt werden, welches Wertegefüge
der real existierende Sozialismus in seinen ehemaligen Bürgern hinterlassen
hat. Es soll aber auch der Irrtum korrigiert werden, daß die von Marx, Engels
und Lenin hinterlassene Lehre gut und richtig sei und nur falsch realisiert
wurde.
Ein wichtiger Punkt ist hierbei in der ML -
Lehre das Fehlen von Toleranz. Der ML glaubte die Zukunft zu kennen und
befaßte sich nicht mit Alternativen. Das Denken und Entscheiden übernahm die
Partei. Der Mangel an Toleranz und die Neigung zur Schwarz - Weiß
Unterscheidung, etwa nach dem Motto 'Wir Guten' und 'die Anderen, die Bösen'
ist ein bis heute hervorstechendes Merkmal in Ostdeutschland. Dies ist die
Konsequenz einer Lehre, bei der im Kampf der Gegensätze zu einem bestimmten
Zeitpunkt immer nur eine Seite richtig und die andere falsch ist und diese
demzufolge negiert werden muss. Die 'dialektische Negation' ist dabei die
Rechtfertigung des parasitären Elementes im ML. Hierbei wird das von der
bekämpften Seite Geschaffene übernommen und einfach behauptet, das eigene
System sei nun die historisch notwendige Fortsetzung der Entwicklung. Hierbei
wird nie ernsthaft diskutiert, ob nicht das Privateigentum möglicherweise die
Voraussetzung für die Schaffung und Erhaltung der Produktionsmittel des
‘Klassenfeindes’ ist.
Wie oben gezeigt, könnte ich mir eine
Entwicklung der Informationsgesellschaft vorstellen, bei der die Möglichkeit
der Verstaatlichung von Produktivkapital (hiermit ist auch der Zugriff auf
Massenmedien und individuelle Kommunikationsmedien gemeint) eine notwendige
Drohung ist, um auf dem erfolgreichen Mittelweg zwischen Kapitalismus und
Kommunismus, der sozialen Marktwirtschaft, zu bleiben.
Möglicherweise könnte gerade in
Ostdeutschland eine gesellschaftliche Alternative entwickelt werden. Eine
reformierte Philosophie des Kommunismus, d. h. so eine Art 'Neo-ML', wäre
durchaus denkbar. Notwendig wäre meines Erachtens eine elementare Korrektur,
bei der das 'Grundgesetz des Umschlagens quantitativer Veränderungen in
qualitative und umgekehrt' entsprechend der Hegelschen Dialektik geändert
werden muß. Hegel sah als Ergebnis des Dialogs der Gegensätze die Synthese, d.
h. den Kompromiß. Hiermit wäre auch automatisch das Element der Toleranz im
Neo-ML eingeführt. Dies würde eine Gesellschaft erlauben, in der Konflikte
nicht durch Kampf, sondern durch Dialog und Synthese ausgetragen werden. Die in
Ostdeutschland stärkere Ausrichtung am Leben im Kollektiv wäre eine mögliche
Alternative zum westlichen Individualismus. Als Kompromisse wären dann auch
Parlamentarismus und die Anerkennung der Gewaltenteilung als Machtregularium
möglich. Eine PDS, die eine derartige Reform durchführt, würde sich dann
bald mit der SPD verschmelzen. Die von allen Linken beklagte Spaltung des
linken Lagers wäre aufgehoben.
Zu erwähnen bleibt hier noch, daß
sprungartige Änderungen mit einem raschen 'Umschlagen der Qualitäten' durchaus
existieren. Derartige Änderungen werden im menschlichen Zusammenleben als
Paradigmenwechsel bezeichnet. Diese können allerdings auch in einer toleranten
Gesellschaft auftreten und stehen durchaus nicht im Widerspruch zu der
Hegelschen Dialektik. Sie paßt sowohl zu stetigen evolutionären Änderungen als
auch zu radikalen, stürmisch vollzogenen Paradigmenwechseln.
Hoffentlich wurde mit dem Vorstehenden klar,
wie die 'Dialektik' in der kommunistischen Gesellschaftsordnung gemeint und
praktiziert war. Das andere wesentliche Element ist der 'Materialismus'. Diese
Vorstellung einer mechanisch funktionierenden Welt hat ebenfalls deutliche
Spuren in den Köpfen der Bürger der Länder des ehemaligen Ostblocks
hinterlassen.
7.2.5 Materialistische
Weltanschauung und Atheismus
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Wichtig wäre dann noch, daß nicht wieder die
gleichen Fehler gemacht würden, wie sie die SPD in den frühen 70ern machte.
Helmut Schmidt, der spätere Bundeskanzler, hatte 1972 in flammenden Reden den
demokratischen Sozialismus gefordert. Dieser war erklärt mittelstandsfeindlich.
Durch Vermögensbildung sollten die Arbeitnehmer an den Produktionsmitteln
beteiligt werden. Der Endzustand wäre dann eine Wirtschaft gewesen, die aus
Großbetrieben bestand, in der die Arbeitnehmer aufgrund von Mitbesitz und
Mitbestimmung das Sagen gehabt hätten. (Ich fand dies Modell zunächst gut.
Jahre später wurde auch mir klar, wie schädlich eine mittelstandsfeindliche
Politik ist. Während Aktionäre, d. h. auch Kleinaktionäre, in der Krise mit
ihrem Geld das Weite suchen, kann man sagen, daß der Mittelstand ‘an der
Scholle klebt’ und seinen Betrieb auch in schlechten Zeiten durchbringt.)
Während einer Konjunkturdelle 1974 wurden Stimmen von SPD - Politikern
veröffentlicht, die erklärten, daß im nächsten Jahr die ersten Sparverträge zur
Vermögensbildung ablaufen würden und sich dann hoffentlich viele Sparer hiervon
ein neues Auto kaufen würden. Dies würde dann die Konjunktur ankurbeln. So
wurde damals der Gedanke der staatlich geförderten Vermögensbildung schon von
Anfang an ad absurdum geführt.