Denk ich an Deutschland .... in Disney World Florida


Im vergangenen Sommer waren wir, meine Frau, unsere 2 Kindern und ich in Florida. Wir hatten einen sehr schönen Urlaub und Gelegenheit etwas vom ‘American way of life’ kennenzulernen.

Ich möchte hier über ein bestimmtes Erlebnis und daraus folgenden Erkenntnissen berichten, die ich ausgerechnet in der Kunstwelt von Disney in Orlando gewann: Im Epcot Center gibt es u.a. Pavillons, in denen einige Länder der Welt in einer Show oder mittels eines Filmes vorgestellt werden.

Im USA - Pavillon wurde eine theaterähnliche Vorstellung zur Geschichte des Landes vorgeführt. Im Theatersaal standen an den Seiten Statuen, die in Form menschlicher Figuren jeweils den ‘Geist der Freiheit’, den ‘Geist des Pioniertums’ usw. darstellten. In der Vorführung, die mit sehr natürlich wirkenden menschlichen Robotern[1] gestaltet wurde, wurde dann auch der Geist der amerikanischen Bürger beschworen, der Grundlage des heutigen Lebens in Freiheit und Wohlstand ist.

Im Norwegen - Pavillon wurde nach einer dynamischen In-Haus Bootstour, vorbei an Bühnen mit aufgebauten typischen Szenen, ein Film mit einer Darstellung von Land und Leuten gezeigt. An mehreren Stellen im Pavillon wurde ein Zusammenhang zwischen dem Handlungs- und Forschungsdrang der Wikinger und den Ölplattform - Besatzungen, die mit ihren Taten die heutigen Quellen des Wohlstandes in Norwegen sprudeln lassenden, hergestellt. Im Film wurde auch norwegische Landschaft gezeigt, aber im Vordergrund standen in Bild und Ton eindeutig die Betonung des Geistes im norwegischen Bürger und damit im Volk.

Der Pavillon der Volksrepublik China imponierte durch sein traditionell gestaltetes Äußeres. 

Zur Film - Vorstellung des Landes wurde die 360 Grad Rundum - Darstellung angewandt, d.h. in einem kreisförmigen Vorstel­lungs­raum sind an den Wänden Leinwände angebracht und der Zuschauer findet sich mitten im Geschehen wieder und kann in alle Richtungen sehen, um die Darstellung zu verfolgen. Die Bilder waren wunderschön. Wir sahen im grandiosen Rundumblick u.a. die chinesische Mauer, die phantastischen Mittelgebirgslandschaften mit ihren steil herausragenden Bergen, die verbotene Stadt in Peking. - Nach der USA Vorstellung und dem nach dem China Pavillon folgenden Norwegen Pavillon fiel allerdings ein drastischer Unterschied auf:

Der China - Film bestand aus beein­druckenden Landschaftsaufnahmen und der Vorstellung von Großbauwerken aus feu­dalistischer Vergangenheit. Vom modernen China und den in sozialistischen Jahrzehnten gewonnenen ‘Errungen­schaf­ten’ war nichts zu sehen. Der Film zeigte kaum etwas von den chinesischen Bürgern. Es dominierte eindeutig die materielle Weltsicht. Auch kulturelles Leben fand sich nur in der Darstellung von Kunstwerken oder im äußeren Bild von Auftritten der traditionellen chinesischen Oper. Eine Darstellung des im chinesischen Volk vorhandenen Geistes und eine hierauf beruhende Verbindung zwischen Ver­gangenheit, Gegenwart und Zukunft des Landes gab es nicht. Der Film wirkte auf mich wie ein sehr schönes, aber lebloses und statisches Ausstellungsstück.

Im Manuskript ‘Annäherung an die Ostdeutschen’ [2] schildere ich Erlebnisse und Wahrnehmungen aus dem ehemals sozialistischen Osten Deutschlands sowie meine Überlegungen hierzu. Auf der Suche nach Erklärungen studierte ich auch DDR - Lehrbücher zum Marxismus-Leninismus (ML). Eine der Erklärungen für deutsch - deutsche Unterschied­lichkeiten liegt mei­nes Erachtens in der ML - Philosophie des ‘wissen­schaftlichen’ Materialismus, der starken Einfluß auf das Wertegefüge der Menschen im sozialistischen Machbereich hatte und heute noch hat.

Dieser Materialismus geht von einem mechanistischen Weltbild aus, in dem der einzelne Mensch zufällig geboren wird und nach seiner Lebensspanne wieder verschwindet; Zitat aus Ostdeutschland hierzu: ‘Wir sind doch alle nur Tote auf Urlaub’.... Die Seele des Einzelnen ist hierbei nur Ergebnis der Wahrnehmung seines Gehirn-Bio-Computers und ebenso ver­gänglich. Der Materialismus ist m. E. die Hauptursache für vorherrschenden Zukunftspessimismus und der hieraus folgenden Konzentration auf den Verteilungskampf der Gegenwart und einer Vernachlässigung gemeinsamer Anstrengungen für die Zukunft. Der oben zur China - Darstellung beschriebene Mangel an Vitalität wäre demnach auch eine Folge von Materialismus und hieraus folgendem Sinn - Verlust für die einzelnen Menschen, die in ihrer Gesamtheit das Volk ausmachen.

Der wachsende Materialismus ist eine wesentliche Ursache für den seit Jahrzehnten fortschreitenden Werteverfall, der auch im Westen stattfindet. Im deutschen Pavillon des Epcot Centers gab es keine Selbstdarstellung mit Film. Es wurde nur Nippes, Hummel-Figuren, Wein und bayerische Würstchen verkauft. Welchen ‘Geist’ hätten die Organisatoren auch zur Darstellung Deutschlands und seiner Bürger betonen sollen?

Nun stellt sich für manchen vielleicht die Frage, was denn der Materialismus und damit der Atheismus des Einzelnen mit den ideellen Werten eines Volkes zu tun hat. Hierzu folgendes:

Ein Volk, bzw. eine Nation behält nur seine Vitalität, wenn die Gemeinschaft in ihren ideellen Werten wurzelt. Der Verlust der Ideale führt zu einem Gemeinwesen, in dem die Gesetze des Zusammenlebens nur vertraglichen Regeln entsprechen und nicht auf einem allgemein anerkannten höheren Recht beruhen, wie es die 10 Gebote für die Christen darstellen. Die Gesellschaft löst sich dann schließlich zunehmend auf und wird von partikulären Einzel­interessen dominiert (=Deka­denz). Eine Politik, die ihre Aufgabe nur im Interessensausgleich sieht und die mächtigsten Lobbies und kurzzeitig die wechselnden Bedürftigen aus der Tages­nach­richt bedient, wird schließlich das Ge­mein­wohl aus den Augen - und damit die Akzeptanz im Volk verlieren.

Ein seelenloser Materialismus kann aber Ideale wie z. Bsp. Selbstlosigkeit, Freiheitsliebe, Toleranz oder auch allgemein das Verantwortungsbewußtsein wie auch Eigenverantwortung nicht lange am Leben erhalten. Warum sollte nicht jeder danach streben, möglichst viele Genußeinheiten zu konsumieren, wenn das Leben keinen tieferen Sinn hat und er sich vor keiner höheren Instanz verantworten muß?

Voraussetzung für eine dauerhaft lebensfähige Gesellschaft ist demnach eine idealistische Philosophie, die davon ausgeht, daß der Geist die Materie kontrolliert und nicht umgekehrt. Ein sich ausbreitender Materialismus und damit zunehmender Atheismus würde sonst zwangsläufig den Zusammenhalt im Volk erodieren und schließlich auflösen.

Die Wiedererlangung ideeller Werte ist die aktuelle Aufgabe im neuen vereinigten Deutschland. G. Rohrmoser [3] formuliert es so: ‘Die Kernfrage für uns in Deutschland besteht heute darin: Was hält denn dieses Gebilde >deutsche Gesellschaft< überhaupt noch zusammen?’

K. Schmitt, 14. August 1998



[1] oder meinetwegen auch ‘Automatenpuppen’, falls jemand das Wort ‘Roboter’ für arbeitsverrichtende Automaten belegt hat - und demnach in der Theaterrolle wohl dann keine Arbeitssverrichtung sieht

[2] veröffentlicht im Internet bei http://www.schmittk.de

[3] Rohrmoser, Der Ernstfall - Die Krise unser liberalen Republik, Ullstein, 1995